Job-Tur­bo: Gelingt die Inte­gra­ti­on ukrai­ni­scher Geflüch­te­ter in den Arbeitsmarkt?

  • Her­aus­for­de­rung trotz Job-Tur­bo und «Get Work in Germany»
  • For­de­rung nach fle­xi­bler Aner­ken­nung von beruf­li­chen Qualifikationen
  • Zeit­ar­beit als Schlüs­sel zur Inte­gra­ti­on – Refor­men gefordert

Mün­chen, 23. Febru­ar 2024 – Seit dem Angriff auf die Ukrai­ne im Febru­ar 2022 haben über eine Mil­li­on Men­schen Zuflucht in Deutsch­land gesucht, davon sind mehr als 716.000 im erwerbs­fä­hi­gen Alter. Zu die­sen Geflüch­te­ten gehö­ren Iry­na, Alex­an­der und Andrii. Inzwi­schen haben sie in der Nähe von Wil­helms­ha­ven eine fes­te Unter­kunft gefun­den und arbei­ten dort als Zeit­ar­beits­kräf­te für ein Logistikunternehmen.

Damit gehö­ren sie einer Min­der­heit an, denn bis­her gehen nur 150.000 der Ukrai­ne-Geflüch­te­ten einer sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäf­ti­gung oder einem Mini­job nach. Der Bun­des­re­gie­rung ist die­se Zahl deut­lich zu nied­rig und die Quo­te der­je­ni­gen, die Bür­ger­geld bezie­hen, zu hoch.

In den nächs­ten Mona­ten wer­den etwa 400.000 Per­so­nen ihre Inte­gra­ti­ons­kur­se absol­vie­ren und ste­hen als Arbeits­kräf­te zur Ver­fü­gung. Auf­grund der EU-Mas­sen­zu­strom­richt­li­nie, die in Deutsch­land im § 24 des Auf­ent­halts­ge­set­zes umge­setzt ist, ist für sie kein Asyl­ver­fah­ren erforderlich.

Netz­wer­ken für den Job-Turbo

Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil hat des­halb den «Job-Tur­bo» gestar­tet: Im Okto­ber letz­ten Jah­res hat der Arbeits­mi­nis­ter gro­ße Kon­zer­ne, Zeit­ar­beits­fir­men und Bran­chen­ver­bän­de von einer Selbst­ver­pflich­tung über­zeugt, künf­tig ver­stärkt Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne ein­zu­stel­len. Jeder Geflüch­te­te, der einen Inte­gra­ti­ons­kurs abge­schlos­sen hat, soll kon­kre­te und ver­bind­li­che Per­spek­ti­ven auf dem Arbeits­markt erhalten.

Um die Inte­gra­ti­on der Geflüch­te­ten in den Arbeits­markt zu beschleu­ni­gen, plant die Bun­des­re­gie­rung eine inten­si­ve­re Betreu­ung durch die Bun­des­agen­tur für Arbeit. Dabei ist die enge Ver­net­zung von Wirt­schaft, Kom­mu­nen, Geflüch­te­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und Wei­ter­bil­dungs­trä­gern vor­ge­se­hen, um die Men­schen schnell in Arbeit zu bringen.

«Get Work in Ger­ma­ny» mit der Bun­des­agen­tur für Arbeit

Dafür hat die Bun­des­agen­tur für Arbeit unter ande­rem die Akti­ons­ta­ge «Get Work in Ger­ma­ny» orga­ni­siert. Hier haben inter­es­sier­te Ukrai­ner die Mög­lich­keit, ver­schie­de­ne Unter­neh­men mit deren Einstiegs‑, Prak­ti­kums- und Qua­li­fi­zie­rungs­mög­lich­kei­ten in einer kom­pak­ten Stun­de haut­nah ken­nen­zu­ler­nen – online und Prä­senz. Die Ver­an­stal­tungs­rei­he wird auf Unter­neh­mer­sei­te sehr posi­tiv bewertet.

Nico­le Munk, Geschäfts­füh­re­rin von SYNERGIE Per­so­nal: «Inte­gra­ti­on und sozia­le Teil­ha­be erfol­gen über Arbeit. Doch es braucht die rich­ti­gen Anrei­ze und eine Will­kom­mens­kul­tur. Ger­ne möch­ten wir in den nächs­ten Jah­ren vie­le Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne ein­stel­len. Doch wenn sie wei­ter auf die­sem Niveau Bezü­ge erhal­ten, ohne zu arbei­ten, wird das schwie­rig. Die Poli­tik muss wei­te­re Anrei­ze schaf­fen, um die Men­schen in Arbeit zu bringen.»

Durch eine spar­sa­me Haus­halts­füh­rung kom­men vie­le Geflüch­te­te mit dem aktu­ell gezahl­ten Bür­ger­geld aus: Eine allein­er­zie­hen­de Mut­ter mit zwei Kin­dern erhält monat­lich zwi­schen 1.200 Euro und 1.500 Euro, abhän­gig vom Alter der Kin­der. Eine vier­köp­fi­ge Fami­lie kann mit einem Betrag zwi­schen 1.700 und 1.900 Euro rech­nen. Zusätz­lich über­nimmt das Job­cen­ter die Kos­ten der Unter­kunft, dar­un­ter Mie­te, Neben­kos­ten und Hei­zung – sofern sie in einem ange­mes­se­nen Rah­men sind.

«Die Bun­des­re­gie­rung soll­te drin­gend die För­der­töp­fe opti­mie­ren”, betont Phil­ipp Gey­er, CEO von RGF Staf­fing. Er emp­fiehlt einen Wech­sel von der Incen­ti­vie­rung für Nicht-Arbei­ten hin zu För­der­mit­teln für Betrie­be, damit sie attrak­ti­ve Gehalts- und Lohn­pa­ke­te schnü­ren kön­nen. RGF habe in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren bereits ohne die­se Hil­fen und trotz hoher Attrak­ti­vi­tät für das Nicht-Arbei­ten über 1.000 Ukrai­ner in Arbeit ver­mit­telt. «Mit den rich­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen ist ein Viel­fa­ches mög­lich», ist Phil­ipp Gey­er über­zeugt. Gleich­zei­tig warnt er: «EU-Arbeits­kräf­te und ukrai­ni­sche Zuwan­de­rer wer­den jedoch nicht aus­rei­chen, um den Bedarf an Arbeits­kräf­ten in Deutsch­land zu decken.»

Zeit­ar­beit kann die Arbeits­markt­pro­ble­me lösen

Auch Niklas Krenz, Geschäfts­füh­rer von head­way­per­so­nal, erwar­tet mehr als nur den Job-Tur­bo vom Staat: «Die Poli­tik muss Büro­kra­tie abbau­en und Hür­den im Arbeits­markt sen­ken». Niklas Krenz wünscht sich eine Trans­for­ma­ti­on des gesam­ten Arbeits­markts: «Wir müs­sen Wei­ter­bil­dungs- und Qua­li­fi­zie­rungs­kon­zep­te ent­wi­ckeln, doch nur wenn die Kun­den­un­ter­neh­men die­sen Weg mit­ge­hen, kann es gelin­gen.» Als posi­ti­ves Bei­spiel nennt er mul­ti­na­tio­na­le Teams im Mit­tel­stand: «Noch vor ein paar Jah­ren war dies undenkbar.»

Ins­ge­samt sei ein Umdenk­pro­zess drin­gend not­wen­dig: Die Inte­gra­ti­ons­kur­se haben als Ziel das Sprach­ni­veau B1. Das bedeu­tet: «ein­fa­che Kom­mu­ni­ka­ti­on im All­tag». Die­ses Level reicht in der Regel nicht aus für eine Inte­gra­ti­on in den Beruf. Zudem haben mehr als Hälf­te der Ler­nen­den den Inte­gra­ti­ons­kurs abge­bro­chen, dies geht aus einem Prüf­be­richt an den Haus­halts­aus­schuss des Deut­schen Bun­des­ta­ges her­vor, das heißt vie­le Ukrai­ner spre­chen die deut­sche Spra­che nur rudi­men­tär. Chris Hau­en­stein, Vor­stand der mete­or Per­so­nal­diens­te, bestä­tigt dies: “Die Sprach­bar­rie­re und der Beschäf­ti­gungs­druck der Regie­rung wer­den maß­geb­lich dar­über ent­schei­den, wie erfolg­reich der Job-Tur­bo sein wird.”

Iry­na, Andrii und Alex­an­der spre­chen wenig Deutsch, einen Inte­gra­ti­ons­kurs haben sie bis­her nicht besucht. Obwohl sie schon andert­halb Jah­re in Deutsch­land sind, war es ihnen bis­her nicht mög­lich, einen Platz in einem Kurs zu ergat­tern, da die­se schnell aus­ge­bucht und die War­te­lis­ten lang sind. Den­noch haben sich die drei bis­her gut mit ihren Eng­lisch­kennt­nis­sen behol­fen. Das gilt auch für das Logis­tik­zen­trum: Zwar sind dort die Arbeits­an­wei­sun­gen haupt­säch­lich auf Deutsch, doch Iry­na, Andrii und Alex­an­der erhal­ten tat­kräf­ti­ge Unter­stüt­zung von Vor­ge­setz­ten und Kollegen.

Wie die nach­hal­ti­ge Inte­gra­ti­on in den Arbeits­markt gelin­gen kann

Doch ein inter­na­tio­na­les Logis­tik­un­ter­neh­men hat eine ande­re Sprach­bar­rie­re als vie­le mit­tel­stän­di­sche Betrie­be. «Die Initia­ti­ve der Regie­rung ist gut, doch es braucht wei­te­re Anrei­ze», ist sich Mar­tin Klin­gen, Mit­glied der Geschäfts­füh­rung bei der Gi Group, sicher: «Vie­le Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne beab­sich­ti­gen, nur so lan­ge in Deutsch­land zu blei­ben, bis der Krieg zu Ende ist. Die Bun­des­re­gie­rung soll­te Initia­ti­ven ent­wi­ckeln, die Blei­be­per­spek­ti­ve ver­bes­sern und wirt­schaft­li­che Anrei­ze schaf­fen. Dazu gehört auch die schnel­le­re Aner­ken­nung von Berufs­ab­schlüs­sen. Denn der Arbeits­markt braucht drin­gend qua­li­fi­zier­te Fachkräfte.»

Trotz schwä­cheln­der Kon­junk­tur pro­gnos­ti­ziert das Insti­tut für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung (IAB) über 1,7 Mil­lio­nen offe­ne Stel­len. Im Jahr 2023 wur­de der Beschäf­ti­gungs­auf­bau in Deutsch­land aus­schließ­lich durch aus­län­di­sche Arbeits­kräf­te rea­li­siert. Beson­ders Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men und Per­so­nal­dienst­leis­ter haben sich als Spe­zia­lis­ten in der Inte­gra­ti­on aus­län­di­scher Arbeits­kräf­te bewährt. Schon im Juli 2023 titel­te die Bun­des­agen­tur für Arbeit in ihrer Bro­schü­re «Ent­wick­lun­gen in der Zeit­ar­beit»: «Die Zeit­ar­beit bie­tet somit offen­bar für Aus­län­der eine gute Ein­stiegs­mög­lich­keit in den deut­schen Arbeits­markt.” Der Anteil der Zeit­ar­beit­neh­mer mit aus­län­di­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit lag im Jah­res­durch­schnitt 2022 mit über 40 Pro­zent drei­mal so hoch wie bei den Beschäf­tig­ten ins­ge­samt (14 Prozent).

Mark Pol­lok, CEO von Trenk­wal­der Group: «Wir sind Exper­ten in der Per­so­nal­be­schaf­fung und in der Ver­mitt­lung von Arbeits- und Fach­kräf­ten aus dem Aus­land – die Poli­tik kann uns dabei unter­stüt­zen, indem sie § 40 (1) 2. Auf­ent­halts­ge­setz abschafft, sodass wir Per­so­nal­dienst­leis­ter auch außer­halb der EU rekru­tie­ren kön­nen.» Dem stimmt Andre­as Brohm, Geschäfts­füh­rer von iper­di, zu: «Wir suchen und fin­den Mit­ar­bei­ter für unse­re Kun­den, und das soll­te so unkom­pli­ziert wie mög­lich sein.»

Wei­te­re Informationen

Gegrün­det 2019, ist das Unter­neh­mer­bünd­nis Zeit­ar­beit ein Zusam­men­schluss von Qua­li­täts­dienst­leis­tern in Deutsch­land. Die betei­lig­ten Unter­neh­men ver­fol­gen das Ziel, inter­es­sier­ten Unter­neh­men, poli­ti­schen und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­ren Ein­bli­cke in die betrieb­li­che Pra­xis der Zeit­ar­beits­bran­che zu geben.

UNTERNEHMERBÜNDNIS ZEITARBEIT
Mai­stra­ße 31
80337 München
www.unternehmerbuendnis.de